Ministerrat – endlich wird diskutiert!
Solche Schlagzeilen und auch der eine oder andere „Medienskandal“ begleiteten am Montag (24.01.2022) das Digitale Rollenspiel Europe Alive zum Thema Arbeitnehmer-Rechte. Die „Journalisten“ lieferten sich gegenseitig eine regelrechte Schlacht, um den hochkomplexen Ablauf (der Richtlinienentwürfe und ihrer Abänderungen) zu kommentieren.
Dieses Live Action Role Play (von Communico Dänemark) wird vom dänischen Parlament für die politische Bildung an Gymnasien als eintägiges Planspiel eingesetzt. Eine Delegation aus Dänemark, begleitet vom Generalkonsulat Dänemarks, ist von der Fachschaft Sozialkunde für einen Durchlauf am Adam-Kraft-Gymnasium eingeladen worden.
Die gesamte 12. Jahrgangsstufe wurde nach dem Einloggen um 10 Uhr von der aus Kopenhagen in Echtzeit betreuten Plattform auf ca. 100 verschiedene Rollen im EU-Gesetzgebungsprozess verteilt. Dann hatten die pflichtbewussten Teilnehmer die Aufgabe, sich möglichst zügig in ihre Rollen einzulesen und dementsprechend zu agieren. Die weniger pflichtbewussten Teilnehmer auch – allerdings fiel ihnen das manchmal erst später auf. Einigen wurde auch erst im Verlauf des Spiels klar, dass jede Rolle und jede Aktion für den Erfolg des jeweiligen Teams notwendig ausgefüllt werden musste, um die zum Sieg führenden Einfluss-Punkte zu erringen. Allerdings wurde allen Teilnehmern Engagement und Flexibilität abverlangt, um sich zurechtzufinden und einzubringen.
Alle Informationen über die speziellen Prioritäten und Interessen (eines Landes, einer Fraktion oder eine Lobbygruppe) standen auf der Plattform des Spiels ständig zur Verfügung. In diesem Spiel-Angebot lag einerseits eine Chance zur Identifikation, andererseits reichte die Bandbreite der extra aufgestellten LTE-Router häufig nicht aus, wenn sich viele gleichzeitig einwählen wollten, um die Spielaufgaben zu erledigen. Dr. Manuel Kronschnabel als Vertreter des Sachaufwandsträgers kam zu Besuch und wurde mit der noch fehlenden Durch-Digitalisierung konfrontiert, was er mit der wohlwollenden Bereitschaft zur weiteren Unterstützung quittierte.
Letztlich kam eine riesige Mehrheit für eine widersprüchliche Richtlinie zustande: man hatte sich auf maximale Förderung von Wirtschaftswachstum durch Verzicht auf Regulierung geeinigt und - gleichzeitig - auf maximale Stärkung von Arbeitnehmerrechten europaweit durch außerordentlich viel Regulierung. Diese Quadratur des Kreises erfüllte das Wunschdenken, möglichst viele Interessen unter einen Hut bringen zu können, und entspricht vielleicht auch ein wenig der in der Gesellschaft bestehenden Hoffnung, trotz anstehender Transformationsprozesse möglichst nicht auf Wohlstand verzichten zu müssen. Abgesehen vom inhaltlichen Ergebnis konnte die Schülerschaft eine Reihe methodischer und sozialer Kompetenzen erwerben, die eben nur in Präsenz und innerhalb solcher unterrichtspraktischen Erfahrungen geübt werden können: eigene Interessen zu verstehen und zu artikulieren, andere Standpunkte nachzuvollziehen und miteinander ins Gespräch zu kommen, termingerecht, zuverlässig sowie akkurat zu arbeiten. Oder auch eine zündende Rede zu halten.
Text: Daniela Schwardt
Fotos: Markus Wawrzynek